Chaos in Glashäuschen

„Jackson Pollesch“ im Warschauer Teatr Rozmaitości

René Pollesch ist zweifellos ein erfolgreicher Stückeschreiber. Und er ist kein Regisseur. Diese Feststellung mag eigenartig klingen, nachdem es inzwischen mehr als 50 Inszenierungen von ihm gibt. Einige von ihnen waren bekanntlich sehr erfolgreich. Pollesch selbst würde dieser Äußerung jedoch zustimmen – immer wieder widerspricht er, wenn man von „einer besonderen Pollesch-Inszenierungsmethode“ spricht. Das Pech oder das Glück des Künstlers besteht bis zum heutigen Tag darin, dass ihm keiner so richtig glauben will. Und dass viele Theater sich wünschten und wünschen, nicht nur ein neues Pollesch- Stück, sondern ein Pollesch-Stück in einer Pollesch-Inszenierung zu bekommen. Dieses Pollesch-Phänomen beschränkt sich nicht nur auf Deutschland. Es ist auch im Ausland weit verbreitet und es ist auch kein wirkliches Problem.

Die letzte Einladung aus dem Ausland kam vom Warschauer Teatr Rozmaitosci. Pollesch inszenierte dort zum Anfang der Spielzeit 2011/12 mit 6 Ensemble-Mitgliedern sein neues, eigens für dieses Theater geschriebenes Stück „Jackson Pollesch“.

In „Jackson Pollesch“ geht es – anders als es der Titel suggeriert – kaum um den US-amerikanischen Maler und seine Kunst. Es geht ebenfalls nicht um den Künstler Réne Pollesch. Das Thema des Stücks – so entnimmt man es den Ankündigungen und den Theaterinformationen – ist „Kreativität“. Auch das ist kein Problem. Es gibt weniger spannende Themen, die allemal für ein Theaterstück reichen. Und René Pollesch ist ein geschickter Schreiber, dem eine professionelle Umsetzung seiner Ziele immer zuzutrauen ist. Aber vielleicht ist das diesmal ein Problem.
Natürlich leben wir politisch gesehen in einer westlichen Demokratie oder der so genannten freien Welt, also in einer Umgebung, wo die Künstler schon immer frei waren in ihrer Entscheidungen etwas zu tun oder es zu lassen. Man möchte betonen, dass wirklich nichts dabei ist, sich der „Kreativität“ zu widmen. Nur… Der an Worten sehr reiche und sicherlich amüsante Text besteht aus kurzen Gedankenfetzen, die stellenweise wirklich witzig sind. Sollte man jedoch einmal inne halten, stellt sich sehr schnell die Frage „worum geht es hier eigentlich?“. Als Zuschauer erfährt man die Schmeichelei, dass man kreativ ist (wer hört das nicht gern?), dass dies in der heutigen Welt alle sind und es sogar sein müssen. Das ist gut und schön, von Pollesch wird es jedoch allgemein und autoritär behauptet, Beispiele, Beweise, Beschreibungen folgen keine. Der durch Komplimente „gekaufte“ Zuschauer wird als ein Komplize angesehen, der das Gesagte schon als gegeben annehmen wird. Er wird in seinem Glauben von den Schauspielern bestätigt, sie schwatzen einem – genauso allgemein und wie gegeben – auf, dass sie nicht mehr wie früher, allein über die Kreativität verfügen. Stimmt das Ganze wirklich?

Ein weiteres, durch einen Wechsel des Blickwinkels mit Kreativität angegangenes Thema des Stückes ist die Suche nach Seriosität. Warum richtet sich die Suche nach tieferen Gefühlen, Erlebnissen, und Gedanken immer nach Innen und nicht nach Außen, fragt Pollesch. Warum sollte man stattdessen nicht die Seele außen plazieren? Einen kurzen Moment ist dies interessant, schnell wird jedoch auch dieser Perspektivenwechsel zu einer bloßen Wortspielerei, deren Autor nicht vergaß, sich zuvor abzusichern: „Wozu den Text und seine Logik nach dem Sinn fragen?“

Wer den Text des Stückes kennt, wird dort eine Grundgeschichte finden: eine Schauspielergruppe kommt auf die Bühne, um eine Boulevard-Komödie zu spielen und findet ein falsches Bühnenbild vor: lauter Glashäuschen, die für Gags des Versteckens von Liebhabern im Schrank ungeeignet sind. Der Theaterzuschauer erkennt diese Geschichte nicht: durch die Regie von Pollesch und seinen Umstellungen von Textteilen, wird sie unverständlich. Das ständige Thematisieren der nicht mehr erkennbaren Grundsituation „früher verschwand ein Körper, jetzt bleibt er weiter sichtbar“, verliert jetzt den Bezugspunkt. Da außerdem die Glashäuschen doch richtige, nicht transparente Türen haben, läuft das Gesagte oft an dem Gesehenen vorbei. Es scheint hier nichts mehr zu passen der „totale“ (totalitäre wäre unhöflich formuliert) Text wird – jedoch zufällig – zu Brei, man hält sich also nur an kleinen Witzen fest und ist den Schauspielern für ihren Volleinsatz dankbar. Dank ihrer Energie wird der Zuschauer durch den Abend getragen, obwohl Pollesch es den Darstellern der Darsteller besonders schwer macht: es werden ihnen alle „Hilfsmittel“ weggenommen. Ein falsches Bühnenbild auch für ihr Stück, kaum Requisite, sie werden in falsche Kostüme gesteckt (Männer in Frauenkleidung – hier eine falsche Regieentscheidung, es wirkt nur beliebig) und die Texte sind ihnen oft falsch zugeordnet (Männer sprechen in weiblicher Form und umgekehrt, was im Polnischen mehr störend als „kreativ“ klingt).

Da wir bei René Pollesch sind, darf natürlich die Kritik am Kapitalismus nicht fehlen. Und siehe da: das Wort „Kapitalismus“, teilweise gepaart mit „Kommunismus“ und „Sozialismus“, ist mehrmals zu hören. Es ist leider eher ein „Kapitalismus“ – Geplapper, von Kritik am System kann hier keine Rede sein, es wird wieder auf die Behauptungsmethode zurückgegriffen: Als Chor repräsentierst du den neuen Geist des Kapitalismus/ Keinem geht es noch ums Geld. Und schon gar nicht dem Kapitalismus/ Das Ekligste im Kapitalismus ist, dass alle nur Liebe wollen und kein Geld/Kommunismus ist weder tot noch fehlt ihm Geld wie dem Kapitalismus/Network ist Äußerung des Kapitalismus…

Zusammenfassend: die Kreativiät des Autors René Pollesch ist zweifellos vorhanden, diesmal jedoch nicht auf dem Niveau seiner früheren Stücke. Ähnliches lässt sich über die Kreativität des Regisseurs Pollesch sagen. Wirklich kreativ sind in dieser Inszenierung die Schauspieler trotz ihrer vom Text zugeschriebenen ständigen Beteuerung, dass sie es nicht mehr können oder wollen. Und kreativ sind mehrere sprachliche Lösungen der Übersetzerin Karolina Bikont, die die Sprache von Pollesch ins hohe Register des Polnischen führt. Was die Zuschauer angeht, sicherlich reicht ihre Kreativität aus, zu erkennen, dass man ihnen an diesem Abend keine großen Inhalte dargeboten hat (was durch das rasante Tempo des Redens stark verschleiert wird), sollte jedoch das Lachen als messbarer Ausdruck von Kreativität gelten, hat der Abend summa summarum seinen Kreativität-TÜV bestanden.

Erschienen in MOE-Kultur-Newsletter, Ausgabe 79